Rituale und deren Bedeutung
Von Kleinigkeiten mit großer Wirkung…
Es sind oft kleine Gesten. Sie können verbal, auditiv oder auch haptisch (greifbar, den Tastsinn betreffend) sein. Jeder bekommt sie vielleicht mehrfach am Tag mit. Jeder kennt sie. Jeder weiß es und benutzt sie, da sie auch für Zugehörigkeit stehen. Und wer will nicht in der Gemeinschaft, in der Familie oder im Team dazugehören. Wovon hier die Rede ist? Ganz klar. Die Rede ist von Ritualen. Wie alt Rituale schon sind, zeigt sich, wenn man sich ein wenig mit dem Wort beschäftigt. Es stammt vom lat. ritualis ab. Die Bedeutung dahinter ist eine nach vorgegebenen Regeln ablaufende, meist formelle und oft feierlich-festliche Handlung mit hohem Symbolgehalt. Was früher meist für religiöse Zwecke verwendet wurde und auch heute in vielen Religionen fester Bestandteil ist, haben wir für uns alle in den Alltag, in den Beruf, in den Freundes- und Familienkreis übernommen.
Doch sie begegnen uns im Alltag, in der Schule, im Beruf, bei Vereinen oder auch in allen Weltreligionen oder in Familiensystemen. Rituale sind nicht wegzudenken. Es ist vielleicht nur so, dass es diese Rituale oft gar nicht in unser Bewusstsein schaffen, sondern eher unbewusst ablaufen. Doch Rituale sind so wichtige Bestandteile im Leben, denn sie verbinden, sie schaffen Zugehörigkeit, sie schaffen ein WIR-Gefühl und das oftmals mit einer Schnelligkeit… da könnte kein Teambuilding der Welt mithalten.
Bereits im Christentum wusste man wie wichtig es ist, Menschen eine Gemeinschaft zu ermöglichen. Schon dem Sakrament der Taufe werden wir in eine Gemeinschaft aufgenommen. Und selbst mit dem Tod schafft die Kirche ein Ritual, um es der hinterbliebenen Gemeinschaft „leichter“ zu machen einen Menschen gehen zu lassen. Dies hat für uns eine Symbolkraft und vereint uns tatsächlich bis über den Tod hinaus.
Doch selbst im Alltag passieren viele Dinge, oftmals unbewusst oder ganz offensichtlich. Das beginnt vielleicht schon im Schlafzimmer mit einem lieben Morgenkuss, einer Umarmung oder einem Satz wie „Ich hab´ dich lieb“. Jeder schmunzelt nun vielleicht in sich hinein, wenn er an sein eigenes „Morgenritual“ mit seinem*r Partner*in oder seinen Kindern denkt. Die Spielwiese dabei ist ja riesig und in Partnerschaft, Beruf oder Familie unterschiedlich und oftmals auch das Erkennungszeichen eines „eingeschworenen Haufens“. Bei uns gibt es sogar gewisse Wörter, die wir als Familie wie einen geheimen Schatz hüten, die auch nur wir vier verstehen und sofort wissen, wie in dem Fall jeder zu reagieren hat und was der andere vielleicht in dem Moment von uns auch benötigt.
Doch denken wir doch auch einmal an unser Arbeitsumfeld. Kommt man in die Firma, begegnen uns wieder zahlreiche Rituale. Vor Corona war vielleicht das gängigste, dass man sich die Hand gegeben hat. Während Corona hat sich gezeigt, wie wichtig diese Rituale sind, denn schnell hat versucht sein Morgenritual mit Ellbogen aneinanderklopfen, Schuhe aneinander zu kicken oder Verbeugungen, etwas Neues zu implementieren. Im Augenblick merkt man auch schön, wie verunsichert man ist, auf welches Ritual man zurückgehen soll und ob der „frühere Handschlag“ tatsächlich wieder zum Ritual wird. Auch auditive Rituale wie lauthals „Guten Morgen“ in die Küche oder ins Büro zu rufen, können Symbolkraft haben, denn wehe, es wird nicht gesagt in der Früh. Dann schaut schon mal jeder irritiert. Oder aber mittags das Wort „Mahlzeit“, welches auch nur zu einem gewissen Zeitpunkt am Tag verwendet wird und jeder weiß, was gemeint ist. Auch die gemeinsamen Kaffeepausen haben Symbolkraft. Nicht nur, dass es uns meistens mental danach ein wenig besser geht. Nein, der gemeinsame „Flurfunk“ sorgt dafür, das WIR-Gefühl zu stärken, denn egal welchen Zweck wir damit verfolgen, wir alle wollen doch nur eines: wir wollen dazugehören. Schließlich sind wir Lebewesen, die von Emotionen leben. Auch dies hat Corona schmerzlich unter Beweis gestellt: Rituale festigen unsere Gemeinschaft.
Wenn man als „Neuer“ in ein bestehendes System hineinkommt, dann ist vielleicht vieles befremdlich, da Rituale ein paar systemischen Regeln folgen, wie z.B. den Regeln: „das Recht des Ersteren“, oder „das Recht der Älteren“. Bekommen die „Neuen“ plötzlich mehr Rechte als die „Alten“, die sich das erarbeiten mussten, dann kann das zu Störungen führen oder sogar verletzen. Das kann man gut Familien vergleichen. Als ich damals mein zweites Kind bekommen habe und mein „Großer“ erstmal total eifersüchtig reagiert hat, hat die Hebamme gesagt: „Stell dir vor, dein Mann bringt auf einmal eine andere mit nach Hause und sagt, dass er dich noch genauso liebe, sie jetzt aber auch bei uns lebe!“. „Gib also deinem Erstgeborenen Zeit, sich an das kleine neue Wesen, das gerade so eine Aufmerksamkeit bekommt, zu gewöhnen“. Sie hatte vollkommen recht. Wir unterschätzen diese Facette total. Geholfen haben uns wirklich Rituale, die wir z. B. nur mit unserem Sohn austauschen, andere nur mit unserer Tochter und Familienrituale, die wir alle gemeinsam zelebrieren.
Dann gibt es das „Recht der Zugehörigkeit“. Dies ist lebensnotwendig, denn der Mensch als soziales Wesen kann nur in der Gemeinschaft überleben. Zu welchen Störungen es kommen kann, hat uns allen Corona ins Bewusstsein gebracht. Was Einsamkeit mit uns macht, kann man anhand von zahlreichen Statistiken nachlesen oder man musste es sogar schmerzhaft am eigenen Leib erfahren. Oftmals wird jedoch vorausgesetzt, dass man neue Teammitglieder integriert. Das funktioniert aber nicht immer reibungslos, auch wenn hier eine hohe Erwartungshaltung dahintersteckt, denn es könnte ja so einfach sein. Hier ist von Führungskräften aber vor allem Fingerspitzengefühl, Geduld und Zeit gefordert und erzwingen würde ich persönlich nichts.
Zugehörigkeit kann man außerhalb der Familie mit am schönsten mit in Vereinen beobachten. Hier gibt es neben Aufnahmeritualen vielleicht die gleichen Trikots, Schals oder Jacken. Es gibt die gleichen Lieder- oder Sprechgesänge, die für Zugehörigkeit sorgen und einen aber auch abgrenzen gegen den Rivalen.
Ich könnte hier vermutlich noch ewig schreiben, denn Rituale finde ich persönlich großartig. Vielleicht habe ich es geschafft, dich mit diesen Zeilen zu sensibilisieren und dir vielleicht ins Bewusstsein zu bringen, was du mit Kleinigkeiten schon Großes bewirken kannst. Oder aber du zukünftig gewisse Rituale mit deinem Team entwickeln kannst, um das WIR-Gefühl zu stärken. Egal was. Rituale leben von Wiederholungen, vom Vorleben, vom Mitmachen, vom WIR.