Agil aber nicht debil!
Von Chancen und Tücken in der neuen Welt…
„Hatten wir heute schon Daily Scrum?“ „Ne, keine Zeit, bin noch mit Design Thinking beschäftigt, damit wir unsere VUKA-Probleme lösen…“.
Willkommen in der schönen neuen (agilen) Welt. Jetzt übrigens mit den Augen zu rollen, ist genauso unangemessen, wie die Augen vor Agilität zu verschließen. Die Herausforderungen werden ja gerade nicht wirklich weniger. Maximal beweglich zu sein, ist meines Erachtens in dieser Zeit keine Option, sondern alternativlos. Die Idee, dass Mitarbeiter*innen ihre tatsächlichen Stärken und Talente mehr einbringen dürfen und beides nicht mehr durch Hierarchien und Befindlichkeiten von Führungskräften ausgebremst wird, ist eine echte Chance für unsere Branche. Darin steckt enormes Potential, unsere Branche für Mitarbeiter*innen wieder attraktiver zu machen. Auch die agile Grundidee der Selbstverantwortung und Selbstorganisation trifft im Kern das, was sich laut verschiedenen Studien auch die jungen Generationen von ihren zukünftigen Arbeitgebern wünschen. Wer nicht bereit ist, bestehende Arbeitssysteme neu zu denken, wird vielleicht zukünftig erhebliche Probleme haben, überhaupt noch irgendwelche Mitarbeiter*innen zu finden. Sich also agile Methoden und Strukturen mal etwas genauer anzusehen, ist ganz sicher ziemlich klug für jeden Unternehmer.
Was diese Welt aber auch nicht braucht, sind irgendwelche „Agilisten“
Was diese Welt aber auch nicht braucht, sind irgendwelche „Agilisten“, die mit Tabus und Dogmen ganze Organisationen in starre Muster packen wollen. Irgendwie passen die Begriffe „starr“ und „agil“ ja auch nicht wirklich zusammen. Ich glaube nicht, dass wir Organisationsstrukturen ausschließlich „denken“ können. Ganz im Kantschen Sinne braucht es auch hier vielleicht ein wenig „Kritik der reinen Vernunft“ und buchstäblich „alle Sinne beieinander“. Im Alltagseinsatz agiler Systeme haben sich zumindest in unserem Unternehmen folgende Effekte gezeigt:
Du bist jetzt für alles selbst verantwortlich!
Wir machen aus jedem/jeder Mitarbeiter*in jetzt eigene „Mitunternehmer“? Warum auch nicht. Es gibt aber auch einen Grund, warum nicht jeder Unternehmer ist und werden mag. Nicht für jeden ist es der Lebenszweck, sich beruflich zu erfüllen. Manche Mitarbeiter*innen möchten einfach gewissenhaft eine anständige Leistung abliefern, ohne gleich die Verantwortung fürs Große und Ganze zu übernehmen und jeden Tag kreative Lösungen finden zu wollen. Auch diese Mitarbeiter*innen liefern oftmals einen wichtigen Anteil für das Unternehmen. Diese nun in einen agilen Mantel zu zwingen, birgt das Risiko, jemanden zu verlieren, statt für Agilität zu gewinnen. Auch solche gewissenhaften Mitarbeiter*innen nicht mehr für ihre Leistung anzuerkennen und wertzuschätzen, ist ein sträflicher Fehler.
Wirklich keine Führung mehr?
Viele Führungskräfte haben Angst nun nicht mehr gebraucht zu werden. Ich glaube viel mehr, dass moderne Führung ein großes Revival haben wird. Nur wird diese Führung weniger ergebnisorientiert, sondern viel mehr mitarbeiterzentriert sein. Wenn unsere „wilde Welt“ etwas wirklich braucht, dann Führungskräfte, die jeden im Team vor allem persönlich stärken. Nichts übrigens dagegen, dass Mitarbeiter*innen Fehler machen und eigene Lernkurven haben dürfen und müssen. Das Unternehmer aber bei Fehlentwicklungen nicht eingreifen sollen, ist in einer Zeit, in der jede Fehlentwicklung dramatische Folgen fürs ganze Unternehmen haben können, für mich nicht realisierbar.
Arbeit am Limit macht Menschen krank!
Agil in den Burnout…
Gerade jene, die über berufliche Erfolge ihren Selbstwert definieren, brauchen Schutz in einer agilen Welt. Führungskräfte und Unternehmer, die agile Methoden vor allem als Chance betrachten, die Produktivität bis zum Maximum zu steigern, haben nicht verstanden, dass Arbeit am Limit nicht den Ertrag steigert, sondern Menschen krank macht. Agile Systeme brauchen deshalb meines Erachtens im Unternehmen unbedingt ein „Gegengewicht“. Das könnten z.B. Methoden aus der positiven Psychologie sein, die dafür sorgen, dass jeder im Team mental stark und resilient bleibt in dieser agilen Welt…
Mein Fazit…
In die agile Welt einzutauchen und sich umzusehen ist ganz sicher klug. Blind einer Theorie zu folgen aber eben nicht! Ich würde mich immer wieder für agile Systeme entscheiden. Mitarbeiter*innen brauchen aber auch ein wenig Zeit, um hineinzuwachsen.